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2.
WEITER GEHT'S DEN NIL ENTLANG
von
Kairo nach Äthiopien. 21. Oktober bis 5. November
Kairo hat 15 Mio. Einwohner und jedes Jahr kommt angeblich eine
Million dazu. Jeder dritte Haushalt hat keinen Strom, kein Wasser
und keinen Kanalanschluss. Ein Moloch und verkehrstechnischer Supergau,
ein Infarkt, der sogar Los Angeles alt aussehen lässt. Der
Verkehr fordert eine todesverachtende Gelassenheit, ein lebensnotwendiges
Reaktionsvermögen und eine ordentliche Prise Gottvertrauen.
Es hilft, wenn man sämtliche Bodenmarkierungen komplett ignoriert
(gar nicht so leicht am Anfang) und auf jeden Fall statt zu blinken
hupt. Überhaupt, beim Losfahren gleich hemmungs- und grundlos
drauf loshupen das ist der bestmögliche Start.
Damit
es noch ein bisschen lustiger wird: ramadanbedingt sind die Fahrer
nachmittags auch schon ordentlich ausgehungert und dehydriert. Mit
einer Extraportion Nerven bin ich dank GPS Unterstützung in
4 Stunden durch. Die XT bekommt unterwegs eine anständige Auskühlpause,
denn das Ölthermometer verrät 130 Grad im Chaos!
Und
dann kam der große Moment, an dem Jahrtausende auf mich herabblickten
hoffentlich nicht doppeldeutig und ich erreiche die
Pyramiden von Gizeh mit dem Motorrad. Ein kleiner Moment für
die Menschheit ein großer für mich.
Nichts
hält mich in Kairo und nach einigen Mühen finde ich die
berühmte Oasenroute, welche auf 1200 Kilometern durch die Lybische
Wüste zu den großen Oasen des Landes und schließlich
nach Luxor führt.
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Am Weg liegt die Weiße Sahara mit ihren bizarren weißen
Felsformationen und eine Schlammorgie. Ja, mitten in der Sahara
schlittert das Motorrad fast zu Boden aufgrund des knöcheltiefen
Schlammes einer Baustelle, auf der gegen die Staubentwicklung
Wasser verspritzt wurde.
Pro Tag sind ca. 10 Militärkontrollen, zur Sicherheit natürlich,
die aber immer sehr korrekt ablaufen. |
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Aus Sicherheitsgründen, natürlich, geht die Fahrt
von Luxor nach Assuan nur im Polizeikonvoi mit Folgetonhorn
und halsbrecherischer Geschwindigkeit (zur Sicherheit?) durch
die Dörfer den Nil entlang, den Fluss, den ich fast drei
Wochen lang entlangfahren werde. |
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In Assuan kommt eine lustige Truppe zustande, Mike aus Schottland
auf einer BMW, Jan aus den Niederlanden auf seiner Africa Twin mit
47 Liter Tank. Wir nennen sie das Mutterschiff. Gemeinsam ergattern
wir die allerletzten Tickets auf der M/S Kernschrott, die uns über
den Nasser Stausee in den Sudan bringt. Das spart uns eine Woche
Warten in Assuan.
Die
XT feiert ihren 50.000er, als ich ihr die mittransportierten Stollenreifen
aufziehe. Noch ein großes Paket mit überflüssiger
Ausrüstung nach Hause geschickt und ab zum Hafen. Die Beladung
des Schiffes gleicht einem Nahkampf und lässt erschauern, wenn
man sieht, was die Träger so alles aushalten müssen. So
wird auch klar, wie sie es geschafft haben müssen, die Pyramiden
zu bauen. Die Motorräder werden auf ein separates Frachtschiff
verladen und bis zum Lenker zwischen Betten, Zwiebelsäcken
und vielen undefinierbaren Gepäckstücken zugeschüttet.
Marion
und Arno sind mit ihrem Pajero unterwegs, von dem gar nichts mehr
zu sehen ist. Die zweite Klasse ähnelt fast einem Sklaventransporter
und ist nicht ganz angenehm zum Reisen. Zum Glück sind wir
in der ersten Klasse, wo es noch halbwegs erträglich ist.
Am
nächsten Tag kommen die Motorräder: Entladung, Verzollung
und Einreise dauern bis zum frühen Abend. Am dritten Tag geht
es endlich los. Durch die Wüste, durch den Sand, über
Schotterfelder, durch Dörfer, in denen die Zeit still zu stehen
scheint und uns die schönen nubischen Frauen zuwinken.
Wir
treffen Uli und einen Japaner, die per Fahrrad Richtung Kapstadt
unterwegs sind. Wir plagen uns schon bei den gemessenen 48 Grad
und haben allerhöchsten Respekt vor deren Leistung, diese versorgungsarme
und unbefestigte Strecke mit Muskelkraft zu bewältigen.
Abends
übernachten wir gern und günstig im 1000-Sterne-Hotel
und stärken uns mit Brot, Sardinen und Keksen. Wasserverbrauch
pro Kopf und Tag: gute 5 Liter. Die Gegend kann man ruhigen Gewissens
als nichttouristisch bezeichnen.
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Nur manchmal gibt es Orte, wo man Wasser, Essen und vielleicht
Benzin bekommt. Einmal verfahren wir uns in einem quadratkilometergroßen
Tiefsandfeld.
Mit
meiner, der leichtesten, Maschine und mit den besten Reifen
ist es meine ehrenvolle und vor allem schweißtreibende
Aufgabe, den Weg heraus zu suchen.
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GPS
ist da sehr hilfreich, besonders wenn der Wind den Sand so verbläst,
dass man keine 20 Meter weit sieht. Auch wenn ich sonst eher mit
Karte und Kompass navigiere, ist es zum zweiten Mal auf der Reise
als Ergänzung unentbehrlich geworden.
Wir
treffen auch wieder Marion und Arno, mit denen wir am Nilufer campen
und die uns ausgehungerte, staubig und verschwitzte Biker zum Essen
einladen.
Sämtliche
Bedenken die Krokodile betreffend verwerfe ich schließlich
und springe vorher zum Waschen in den Nil. Sollten welche da gewesen
sein habe ich sie damit bestimmt nachhaltig vertrieben.
Nach 500 Pistenkilometern ohne Verkehrs- und Hinweiszeichen, Ampeln
oder dergleichen erreichen wir Dongola. Mikes BMW (vorne Straßenreifen)
wird endlich auf einen Pick Up verladen. Die Sandfahrerei war nichts
für sie und ihn. Dort angekommen teilen uns die 5 Banken und
die Wechselstube ohne mit der Wimper zu zucken mit, dass es die
Regierung in Khartum verboten hat, ausländisches Geld zu wechseln,
ganz unabhängig von unseren Hotelrechnungen und dem Benzinbedarf
der Motorräder. Der Manager des Hotels Lord rettet uns und
wechselt genug, damit wir es in die Hauptstadt Khartum schaffen.
Vorher brausen Jan und ich zu den Pyramiden von Nuri.
Am Rückweg, schon Richtung Khartum, nach Hunderten Pistenkilometern,
haben wir endlich entspannende Asphaltstrasse.
Etwas
zu entspannt. Hinter einer Bodenwelle versteckt sich ein Schlagloch.
Eigentlich müsste man es einen Schützengraben nennen.
Es ist lange und vor allem tief und die Abrisskanten sind scharf.
Und es rächt sich bitterböse für alle Schlaglöcher,
die ich bisher ignorant in Hochgeschwindigkeit überflogen habe.
Später sollte ich erfahren, dass ich bei Weitem nicht der Einzige
bin, den es an dieser Stelle zerlegt hat. Nach einem mächtigen
Schepperer lasse ich die XT ausrollen, sie liegt hinten etwas tiefer
und rattert hässlich. Die Felge hinten ähnelt mehr einem
Pentagramm und ich fürchte, das hochwertige Oehlins-Federbein
in die ewigen Schrottgründe befördert zu haben. Speichen
werden so gut es geht festgezogen und in Slow Motion (immerhin)
geht es nach Khartum, wo wir spätabends natürlich den
Campingplatz nicht finden, den natürlich auch keiner kennt
und uns dafür umso überzeugter in die genau gegengesetzte
Richtung schickt als der Typ, den wir vorher gefragt hatten.
Und
wider Erwarten geht die Reise am nächsten Tag weiter. Allerdings
schalte ich vom Knocking on Heavens Door"-Modus auf We
have all the time in the world" und erreiche abends mitten
in der Wüste die Pyramiden von Meroe, der alten Hauptstadt
des oberägyptischen Koenigreiches Kush.
Ein
sehr stimmiger Platz wo außer mir eigentlich kaum wer ist.
Im nahen Italian Camp bekomme ich ein Gästebett im Gesindehaus
und es hat doch tatsächlich ein Gast kaltes Bier dabei (Alkohol
ist im Sudan verboten) und da er lieber mit mir mitfahren würde
als wieder ins Büro, spendiert er natürlich ein kühles
Carlsberg. Von ihm (er ist Botschaftsangestellter) ist zu erfahren,
dass die 130 NGOs mit ihrem Kapital zur Nutzung der lokalen Infrastruktur
(Mieten etc.) massiv zu einer Überteuerung in gewissen Bereichen
und vor allem einer immensen Einkommenskluft in der einheimischen
Bevölkerung geführt hat. Davon erfährt man als Spender
natürlich nichts.
Östlich von Wad Medani steht ein knappes Dutzend einmotoriger
russischer Aeroflot-Maschinen. Sorgsam mit Bodenleinen gesichert
und bestimmt seit 30 Jahren nicht mehr in Betrieb genommen. Die
Bespannung hängt in Fetzen von den Tragflächen und da
Piloten nichts verboten ist, schmeiße ich mich gleich ins
Cockpit und mache einen auf Lindberg. Leider springt die Kiste nicht
an und eine hübsche Stewardess ist auch weit und breit keine
zu sehen. Nur ein paar Ziegen, die zwischen den Wracks gedankenlos
am kargen Gras der Buschsavanne kauen.
Denn
die Sahara habe ich schon hinter mir gelassen und in das gelbe Landschaftsbild
mischt sich jetzt öfter zartes Grün.
Immer
mehr Dörfer sind zu sehen; mit runden Strohhütten, Viehherden,
die gelegentlich von LKWs ungebremst dezimiert werden. Die letzten
100 Kilometer vor der äthiopischen Grenze zeichnen sich durch
bis zu knietiefe Spurrillen und messerscharfe Steine aus.
Gerade
als ich bei Gedaref das Mobilfunknetz verlasse, erreicht mich ein
SMS von Gerdi:
Massenrevolte in Äthiopien mit Hunderten Toten
NICHT einreisen!".
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